Eigentlich bietet die moderne Gesellschaft ja einen hohen Komfortlevel. Elektronische Alltagshelfer erledigen viele Aufgaben für uns, die Medizin heilt Blessuren schon bevor sie allzu verheerend werden, und auch die Fortbewegung müssen wir dank einem breiten Angebot an Transportmitteln nicht aus eigener Kraft bewältigen. Dennoch versagen wir uns selbst immer mehr eine ganz entscheidende Quelle der Lebensenergie, die uns gesund und leistungsfähig hält: den Schlaf.
So sehr wir auch heute darüber aufgeklärt sind, wie zu wenig Schlaf sich auf den verschiedensten Ebenen negativ manifestiert – paradoxerweise wird dieser Mangel mancherorts geradezu befürwortet. Karriereorientierte Menschen, die vorgeblich zu ambitioniert sind, um viel zu schlafen, werden als falsches Ideal regelrecht bewundert. Sinnvoller wäre da wohl ein verantwortungsbewusstes Vorbild, das den gesunden Schlaf als Voraussetzung für optimale Leistungsfähigkeit ernstnimmt. Denn: Vor den Folgen des Schlafentzugs ist auch der erfolgreichste Mensch nicht gefeit. Früher oder später holen die negativen Konsequenzen jeden Übernächtigten ein.
Japan: Wenig Schlaf ist normal
Der Schlaf wird vermutlich nirgendwo so konsequent vernachlässigt wie in Japan. Besonders im Großraum Tokyo, wo der Feierabend sehr spät beginnt und eine mehrstündige Anreise zur Arbeitsstelle fast zur Norm gehört, wird der nächtliche Schlaf der Karriere geopfert. Und das gilt sogar als lobenswert: Die zahlreichen Menschen Tokyos, die tagsüber einnicken, weil sie schlichtweg viel zu wenig geschlafen haben, zeigen damit, dass sie ihren Dienst für das Unternehmen über alles andere stellen. Das wird in der japanischen Gesellschaft als Fleiß und Charakter ausgelegt, und durchaus ermuntert. Einige der großen Unternehmen lassen ihre Mitarbeiter in Ruheräumen Power Naps abhalten, damit diese den Tag überhaupt überstehen können. Oft nutzen Pendler die berüchtigten Kapselhotels der Stadt, um auf etwa 2 m² Bodenfläche zumindest 2-4 Stunden Schlaf erhaschen zu können, ehe sie wieder zur Arbeit müssen.
Schlafmangel schadet der Gesellschaft
Auch wenn die Umstände in unseren Breitengraden nicht ganz so extrem sein mögen – dass tüchtige Menschen eben auch mal müde sein müssen, wird selbst bei uns zumindest impliziert.
Der Leistungsdruck steigt aber sogar im Freizeitbereich. Die Erholung zu priorisieren und nicht vielen Aktivitäten nachzugehen kann als Faulheit ausgelegt werden. Der Druck, nicht als phlegmatisch abgestempelt zu werden, steigt. Das bleibt auch auf Gesellschaftsebene nicht ohne Konsequenzen. Überspannte und unausgeglichene Menschen sind vermehrt krank und unkonzentriert, Fehltage und Arbeitsunfälle nehmen zu. Dem Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum der Charité Universitätsmedizin Berlin zufolge fallen Menschen mit Schlafproblemen drei bis vier Mal öfter bei der Arbeit aus als andere. Daraus ergeben sich Kosten in Milliardenhöhe – und eine schlechtere Lebensqualität für den Einzelnen.
Positive Entwicklung?
In jüngster Zeit lässt sich jedoch in der westlichen Welt ein gewisses Umdenken in die andere Richtung beobachten. Nun soll Schlaf zunehmend als neues Statussymbol gelten. Vereinzelt sprechen Magnaten wie Amazon-Gründer Jeff Bezos vom 8-stündigen Schlaf als Schlüssel zum Erfolg.
Manche US-Unternehmen bezahlen ihren Angestellten Prämien, wenn diese eine Mindestschlafdauer von sieben Stunden pro Nacht beweisen können. Und auch die Konsumgesellschaft folgt diesem Trend: Handy-Apps, Kissensprays und andere Gimmicks, die den Schlaf verbessern sollen, verkaufen sich bestens. Natürlich ersetzen solche Gegenstände keinesfalls eine wahrhaftig schlaffördernde Lebensweise und die richtige Schlafausstattung. Doch immerhin: Die Aufwertung des Schlafs als wertvolle Quelle für gesunde Lebensenergie ist durchaus als positiv zu bewerten.
Bleibt nur zu hoffen, dass dieses aufkommende Interesse um wissenschaftliche Erkenntnisse und Expertise ergänzt wird, damit der öffentliche Diskurs die unverzichtbare Gesundheitssäule Schlaf endlich als solche anerkennt. Daraus könnte sich eine wahre Revolution in Sachen Lebensqualität und psychischer wie auch physischer Gesundheit ergeben – im großen wie auch im individuellen Kontext.
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